Außer einem parametrisch-assoziativen Solidkernel hat die 4.1 noch einiges mehr zu bieten. Im dritten Interview unserer Reihe widmen wir uns deshalb ganz dem Thema "CAM". Sie erfahren:
Herr Dr. Schinke, ein großer Schwerpunkt neuen Version 4.1 liegt auf der klaren, einfachen und intuitiven Benutzerführung. Würden Sie sagen, dass die User Experience bei modernen Software-Lösungen genauso wichtig ist wie deren Funktionalität?
Ich würde sagen, dass beides nicht voneinander zu trennen ist. Unternehmen der Fertigungsindustrie müssen beliebige Bauteile von einfach bis komplex schnell und effizient herstellen können. Dazu benötigen sie eine moderne und durchgängige Software-Lösung, die ihnen – von CAD über CAM bis MES – alle dafür erforderlichen Funktionen bietet. Aber auch die eigentliche Nutzerführung spielt eine entscheidende Rolle.
Nach dem Motto „Das Auge konstruiert und programmiert mit“?
Das ist das eine. Es macht einfach mehr Spaß, mit einer Software zu arbeiten, die optisch ansprechend und leicht zu bedienen ist. Noch wichtiger aber sind die Auswirkungen, die die Benutzerführung auf die gesamte Wirtschaftlichkeit des Unternehmens hat.
Das bedeutet?
Erstens kostet es schlichtweg wertvolle Zeit, wenn Anwender lange nach versteckten Funktionen suchen oder sich mit einer wenig logischen Benutzerführung auseinandersetzen müssen. Aufsummiert auf alle Konstrukteure und CAM-Anwender kommt da einiges zusammen. Das geht auch zu Lasten der Prozesssicherheit. Zweitens ist es in Zeiten von Fachkräftemangel und hoher Fluktuation extrem wichtig, neue Mitarbeiter schnell „an Bord“ zu holen und in bestehende Arbeitsabläufe zu integrieren. Lange Einarbeitungsphasen darf es nicht geben. Drittens kann die Software einen erheblichen Beitrag leisten, wenn es darum geht, den Anwender in einer immer komplexer werdenden Arbeitswelt bei seiner tagtäglichen Entscheidungsfindung zu unterstützen. Arbeitsschritte müssen automatisierbar sein.
Werden wir konkret. Welchen Weg geht Tebis, um die Bedienung der Software für den Anwender so einfach wie möglich zu gestalten?
Wir sind im dauernden Kontakt mit unseren Key-usern und fragen sie, was in ihren Augen eine moderne, praxisgerechte und nutzerorientierte Benutzerführung ausmacht, Anwender und Entwickler tauschen sich permanent aus. Außerdem bewerten externe Usability Experten unsere Software fortlaufend.
Und was ist dabei herausgekommen?
Grundsätzlich brauchen sie eine Oberfläche, die klar, übersichtlich und stringent strukturiert ist. Das ist zum einen wichtig für den Gesamtüberblick. Zum anderen müssen Konstrukteure und CAM-Programmierer so schnell wie möglich zum Ziel kommen. Deswegen wollten wir von unseren Anwendern wissen, wie sie bei Konstruktion und CAM-Programmierung typischerweise vorgehen. Vor allem Neueinsteiger finden sich zudem am schnellsten zurecht, wenn eindeutige und sprechende Begrifflichkeiten verwendet werden.
Wie setzt Tebis das genau um?
Tebis Anwender organisieren ihre Tätigkeiten über einen Strukturbaum, den wir auch als Objektbaum bezeichnen. CAM-Anwender nutzen zusätzlich den Arbeitsplan und die Tebis NCJob-Technologie.
Sehen wir uns diese drei Kategorien – Strukturbaum, Arbeitsplan und NCJob-Technologie – der Reihe nach etwas genauer an. Der Strukturbaum beschreibt die oberste Hierarchieebene, auf die CAD-Konstrukteure und CAM-Programmierer innerhalb eines Unternehmens gleichermaßen zugreifen?
So ist es. Die wichtigste Neuerung der Tebis Version 4.1 ist ja der parametrisch-assoziative Solidkernel. Parametrische Geometrien sind keine starren Elemente, sondern variable Objekte. Deswegen sprechen wir beim Strukturbaum auch von einem „Objektbaum“. Er untergliedert sich in einen CAD- und einen CAM-Bereich. Der CAD-Knoten zeigt die genaue Entstehungshistorie. Sie bleibt jederzeit nachvollziehbar. Der Anwender kann auf den jeweiligen konstruktiven Bauteilzustand zugreifen und einzelne Objekte schnell und einfach parametrisch-assoziativ anpassen. Analog dazu enthält der CAM-Knoten des Baums den Arbeitsplan. In diesem lassen sich alle fertigungsrelevanten Funktionen direkt nutzen. NC-Bearbeitungen und NC-Abfolgen werden zusammen mit ihren jeweiligen Eingangsdaten angezeigt. Der Strukturbaum ist eng verknüpft mit der Benutzerführung. Ebenso ist das Handling mit CAD- und CAM-Objekten nahezu identisch.
Bei Tebis gehören CAD und CAM eng zusammen.
Deshalb ist auch unsere Parametrik für die Fertigung gemacht: Solidtechnologie und Flächentechnologie sind parametrisch „verheiratet“. Die CAD-Daten, auf denen der CAM-Programmierer Werkzeugwege erzeugt, sind von Anfang an für die CAM-Programmierung optimiert. Wir adressieren mit unserer Parametrik ja nicht den Designer, der den finalen Artikel entwirft.
Sie adressieren den CAD-Konstrukteur.
Der CAD-Konstrukteur konstruiert die Betriebsmittel, die man zur Fertigung des eigentlichen Artikels benötigt. Und gegebenenfalls kümmert er sich auch um die Fertigungsaufbereitung. Die Übergänge sind oft fließend. Manchmal ist ein und dieselbe Person sowohl mit CAD- als auch mit CAM-Aufgaben betraut. Lassen Sie es mich so ausdrücken: CAD muss sein wie CAM. Mit dem standardisierten Strukturbaum behalten Sie alle CAD- und CAM-Abläufe im Blick. Unser Leitgedanke war: Wie kommt der Nutzer mit möglichst wenigen Klicks zu den relevanten Informationen? Natürlich lassen sich CAD- und CAM-Bereich unabhängig voneinander einblenden, konfigurieren und ausblenden.
Kommen wir zum Arbeitsplan …
Mein Lieblingsthema! Der Arbeitsplan ist quasi das Herzstück unserer Software. Ein Bauteil wird in der Werkstatt auf eine ganz bestimmte Art und Weise hergestellt. Diesen Ablauf bilden wir genau so im Arbeitsplan ab. Mit ihm erzeugen und verwalten CAM-Programmierer alle NC-Programme, die zur Fertigung eines Bauteils benötigt werden. Er ist ständig verfügbar und kann direkt gesichtet, geprüft und auch angepasst werden. Parameter lassen sich verändern, ohne dass weitere Funktionen aufgerufen werden müssen. Der Arbeitsplan und unsere NCJob-Technologie hängen eng zusammen.
Und was genau macht den Tebis Arbeitsplan und die NCJob-Technologie so intuitiv und benutzerfreundlich?
Wenn Sie beispielsweise einen neuen NCJob anlegen, werden alle möglichen Auswahloptionen für Sie vorgefiltert. Was muss man sich darunter vorstellen? Zunächst wählen Sie die Technologie aus. Sie geben also einfach an, ob Sie beispielsweise bohren, fräsen oder drehen möchten. Nehmen wir an, Sie wollen fräsen. Dann werden Ihnen – vom 2,5D Fräsen oder Taschenfräsen, über das 3D Fräsen bis hin zum 5 Achsen Fräsen und Hinterschnittfräsen – in einer Auswahlliste alle für die Fräsbearbeitung verfügbaren Bearbeitungsarten angeboten. Entscheiden Sie sich nun zum Beispiel für das 5-achsige Fräsen, sehen Sie alle Funktionen, mit denen Sie 5-achsig fräsen können. Wenn Sie nun die gewünschte Funktion selektieren – zum Beispiel „Oberflächen Schruppen“ – können Sie im nächsten Schritt von achsparallel bis adaptiv die erforderliche Schruppstrategie auswählen.
Die Parameter lassen sich direkt in der Eingabemaske konfigurieren?
Ja. In jeder Eingabemaske sind nur Parameter sichtbar, die Sie für die konkrete Bearbeitungsaufgabe benötigen – nicht mehr und nicht weniger. Das erleichtert nicht nur die Bedienung, sondern erhöht auch die Prozesssicherheit.
Und wann wählen Sie Maschine oder Werkzeuge aus?
Auch die Auswahl der Maschine, der Rohteil- und Bearbeitungsgeometrie sowie der Werkzeuge baut aufeinander auf. Die gesamte Struktur ist praxisnah an die logische Vorgehensweise des CAM-Programmierers angelehnt.
Arbeitsplan und NCJob-Technologie
Innerhalb des Tebis Arbeitsplans ist die gesamte Bearbeitung eines Werkstücks hierarchisch aufgebaut.
Ebene 1: Alle NC-Programme, die sich in einer Aufspannung fertigen lassen, werden zu einer NC-Bearbeitung zusammengefasst.
Ebene 2: Die nächste Hierarchieebene bildet das NC-Programm. NC-Programme enthalten abzuarbeitende NCJobs und legen die Abarbeitungsreihenfolge der NCJobs innerhalb des NC-Programms fest.
Ebene 3. Die unterste Hierarchieebene besteht schließlich aus dem NCJob selber. In ihm sind alle Parameter gespeichert, die zur Berechnung eines Werkzeugwegs benötigt werden.
Diese Struktur ermöglicht die automatisierte NC-Programmierung und lässt Anwender gleichzeitig flexibel auf geänderte Anforderungen reagieren.
Gibt es auch was für den schnellen Überblick?
Alle relevanten Informationen – bis hin zu den Optimierungen der Bahnen und Verbindungen – sind übersichtlich in einer Liste zusammengefasst. Hier sehen Sie alles auf einen Blick und haben beispielsweise die Maschinenlaufzeit, die Bearbeitungszeit oder den Status des Werkzeugwegs stets im Auge.
Sieht denn jeder alles?
In Zukunft soll sich jeder individuelle Ansichten konfigurieren können. Die Möglichkeiten dazu bauen wir sukzessive aus. Geplant ist, dass sich jeder quasi seine eigene Software zusammenstellen kann, die genau zu seinen eigenen Bedürfnissen passt.
Den kostenfreien Tebis Browser haben Sie auch weiterhin im Angebot? Er ist ja sehr hilfreich, wenn es darum geht, sich einen ersten Überblick über die geometrischen Eigenschaften eines CAD-Modells zu verschaffen.
Nicht nur das. Unsere Kunden nutzen den Browser sehr oft als visuelle Grundlage, wenn sie mit ihren Geschäftspartnern über das CAD-Modell sprechen. Deswegen lässt sich der Browser 4.1 nun einfach und intuitiv per Touch bedienen. Bauteil zentrieren, Fixpunkt setzen, Ansichten wählen und so weiter geht jetzt auch auf dem Tablet. Mit dem Browser können Sie sich nun quasi jederzeit und an jedem Ort visuell über ein CAD-Modell austauchen.
Herr Dr. Schinke, wir haben nun viel über die „Einfachheit“ und „Prozesssicherheit“ gesprochen. Aber auch wenn sich die Software an sich leicht bedienen lässt, so muss der Anwender doch genau wissen, was er tut und wie er die einzelnen Parameter konfiguriert. Dieses Wissen um das „Wie“ der Fertigung nimmt ihm die Benutzerführung nicht ab.
Nein, die Benutzerführung allein nicht. Unsere heutige Fertigungswelt ist so komplex, dass selbst der erfahrenste Mitarbeiter nicht in der Lage ist, auf die Schnelle zu entscheiden, welches Werkzeug, welche Maschine, welche Technologie und welche Bearbeitungsstrategie sich für die konkrete Fertigungsaufgabe am besten eignet. Wie ich bereits eingangs erwähnt habe: Eine moderne CAD/CAM-Software muss deshalb in der Lage sein, den Anwender bei seiner tagtäglichen Entscheidungsfindung zu unterstützen.
Sie sprechen von standardisierten Schablonen und automatisierten CAD/CAM-Prozessen.
Standardisierte Schablonen sind ein sehr wichtiger, aber nicht der einzige Aspekt für automatisierbare Fertigungsprozesse. Ich spreche hier übrigens nicht von Schablonen, die für alle Unternehmen gleichermaßen gültig sind. Ich spreche von Schablonen, die das individuelle Fertigungswissen Ihres Unternehmens abbilden. Diesem Fertigungswissen liegt die jahrelange Erfahrung Ihrer Mitarbeiter zugrunde. Mit einer logischen Benutzerführung und passenden Schablonen können Ihre Mitarbeiter kreativ und innovativ auf neue oder geänderte Anforderungen reagieren, da sie sich nicht länger mit lästigen Basisproblemen herumschlagen müssen.
Was spielt bei der Automatisierung der Fertigungsprozesse noch eine Rolle?
Das hat viel mit digitalisierten Prozessabläufen und MES zu tun. Denn Sie müssen ja auch logistisch planen und diese Abläufe in der virtuellen Welt abbilden. All diese Aspekte stehen in gegenseitiger Wechselwirkung. Wie alles zusammenspielt, hängt wiederum von Ihrem Bauteilspektrum ab und von Betriebsmitteln wie Bearbeitungswerkzeugen und Werkzeugmaschinen. Zu den Themen Automatisierung, Programmierung mit digitalen Zwillingen und digitalisierten Prozessen kann Ihnen mein Kollege Reiner Schmid sicherlich mehr erzählen. Ich möchte an dieser Stelle nur so viel sagen: Mit der Version 4.1 haben wir einen richtungsweisenden Grundstein gelegt. Denn die Software ist die Basis für alle zukünftigen Automatisierungsprozesse.